Ich bin der Märchenerzähler in deinem Kopf.

Nenne mich Meddah.

Und sei ganz still.

Thovma Khatisian.

Ganz still.

Denn es dauert nicht mehr lange. Bald ist es soweit.

Und dann, wenn deine Lichter allmählich ausgehen, werde ich dir ein Märchen erzählen.“

 

Was erzählt dieses Märchen, dessen Wort auch den Titel des Buches schmückt?

Ein Märchen wird als ein Prosatext definiert der wundersame Begebenheiten erzählt und im Unterschied zu eine Sage oder Legende als frei erfunden gilt. Und ist zeitlich sowie örtlich nicht greifbar. Jedoch werden Märchen auch als günstiger Lernstoff fürs Leben mit einer konkreten Pointe von Generation zu Generation weitergegeben. Die oft traumhafte und unwirkliche Form eines Märchens übt eine gewisse Faszination aus, da sie Distanz vom realen Leben schafft und somit eine gewisse Sicherheit beim Zuhörer.

Was erzählt nun diese Märchen das im Titel nicht alleine steht – Das Märchen vom letzten Gedanken?

Es erzählt den ersten grossen Genozid des vergangenen Jahrhunderts. Den Genozid des Armenischen Volkes durchgeführt von den Türken. Es scheinen offensichtlich Fakten niedergeschrieben zu sein und doch spiegelt sich diese real stattgefundene Tragödie durch die Gedanken der Hauptfigur. Fragmentarisch ist der Aufbau dieser schwierigen Thematik. Wie in einem Traum scheinen die Fakten, die tragischen Ereignisse eine neue Form anzunehmen- die eines Märchens. Die Wirklichkeit gesprochen durch die Form der Unwirklichkeit.

Der Text, einem Bild Marc Chagalls ähnlich! Bilder und Atmosphären einer untergegangenen und doch uns allen bekannten Welt! Übermalt, aufblitzend, manchmal nur scheinbar, als Hintergrund, als Wolke, als Blitz aus heiterem Himmel.

Das Buch bewirkt beim Leser eine hilflose und unfreiwillige Situation in seinen Gedanken. Es öffnet Fragen über verschiedene Kulturen, politische und historische Hintergründe um Menschlichkeit. Die Frage der Menschlichkeit öffnet wiederum Unterfragen wie: Kann man sich mit einer solchen Thematik einseitig befassen? Oder bedarf es einer Offenheit der Gedanken um das ganze Spektrum aller gestellten Fragen von allen Seiten Zusammenzufassen?

Die Form des Märchens spricht für sich und öffnet eine Welt unzählbarer Möglichkeit. Und setzt somit auch einen Grundstein für die Transformation in ein Theaterstück. Das märchenhafte Theaterstück soll nicht erklären sich rechtfertigen oder jemandem in seinem Kommentar zu gute kommen – es soll zeigen. Es soll Gedanken in Bilder ergiessen lassen und ein ganzes Bauwerk an Fragen entstehen lassen. Das Theaterstück wird zum Märchenerzähler und das Publikum zu unwissenden aber begeisterungsreichen Zuhörern. Die Pointe bleibt aus, die Fakten bleiben. Und die Antworten schweben und schlummern in einem Gedankengewirr all jener die sich an diese Thematik, dieses Buch und zuletzt an dieses Theaterstück antasten.

 

Mit

Verena Buss und Walter Küng          Spiel

Elina Duni                                             Gesang

Barbara Pfyffer                                     Szenografie

 

Der Autor Edgar Hilsenrath

1926 wurde als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Leipzig geboren und musste 1938 mit der Mutter und dem Bruder aus Halle zu den Großeltern nach Rumänien in die Bukowina fliehen. 1941 wurde Hilsenrath in ein jüdisches Ghetto in der Ukraine deportiert. Er überlebte, kehrte in die Bukowina zurück und wanderte 1945 nach Palästina aus. 1947 kam er nach Lyon, wo sich die Familie zusammengefunden hatte, und ging 1951 nach New York. Seit 1975 lebt er in Berlin. Für seine Werke erhielt er zahlreiche Auszeichnungen im In- und Ausland, darunter den Preis des Präsidenten der Republik Armenien, sowie die Ehrendoktorwürde der Staatlichen Universität Eriwan.

 

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